Kelim 2013, Mudat

«Raster geben Halt»

Interview: Silvano Cerutti

Die Künstlerin Salome Bäumlin hat soeben den Frauenkunstpreis erhalten. ln ihrer Arbeit sucht sie unter anderem den Austausch zwischen zeitgenössischer Abstraktion und traditionellem Ornament. Salome Bäumlin arbeitet mit verschiedenen Medien, unter anderem mit Zeichnungen und Collagen. Der Frauenkunstpreis 2014 wurde der Bernerin zugesprochen für Teppiche, die sie von marokkanischen Weberinnen herstellen lässt. Bei diesen Arbeiten sucht sie auch den Austausch über die Kulturen hinweg. Kein leichtes Unterfangen, wie sie im Interview darlegt.

Salome Bäumlin, was bedeuten Ihnen Ornamente?

Was mich interessiert ist, dass Elemente zur Struktur werden. Ich habe mich sehr stark mit Rastern und Systemen befasst. Einerseits sind wir in ihnen gefangen, andererseits gibt uns eine Struktur erst den Halt und die Freiheit, um gewisse Dinge überhaupt ausprobieren zu können. Die Strukturen mögen optisch eindeutig wirken, inhaltlich sind sie es nicht. ln der Herstellung sind auch Teppiche Raster. Teppiche haben mich als Bildraum schon früh fasziniert. Als solcher sind sie bei uns etwas in Vergessenheit geraten. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sie von der Wand auf den Boden gerutscht sind, bildlich gesprochen. Aber da sind wir etwas borniert, der Teppich hat eine lange Kunstgeschichte. Mir gefällt zudem, dass im Resultat die ganze Handlung der Herstellung präsent ist. Wenn ich am Computer eine Fotomontage mache, kann ich sie am Schluss nur noch ausdrucken.

Sind Teppiche auch ein gutes Medium, weil sie über unseren Kulturkreis hinaus reichen?

In Marokko, wo ich mit Weberinnen zusammenarbeite, sind Teppiche der Wertträger einer Familie, der vererbt wird. Ausserdem habe ich bald gemerkt, dass handwerkliche Aspekte für einen interkulturellen Dialog geeignet sind. Man begegnet sich dann auf derselben Ebene, verfolgt ein. gemeinsames Ziel und kann darüber sprechen, ohne Religion oder Politik zu tangieren. Ein Teil der Arbeit ist der Austausch über die über die Grenzen hinweg? Ein absoluter Austausch ist natürlich eine Illusion. Ich weiss, dass er mir etwas bringt, aber ich frage mich manchmal, wie es bei den Marokkanerinnen aussieht. Deshalb habe ich während eines Masterstudiums Strategien erarbeitet, um den ethischen Ansprüchen über den gesamten Produktionsprozess hinweg gerecht zu werden. Ich kann zum Beispiel keine zu hohen Löhne bezahlen, sonst kommt es zu Spannungen in ihrer Gesellschaft.

War es denn leicht, mit den Weberinnen in Kontakt zu kommen?

Nein. Es war schwierig, sie überhaupt kennen zu lernen. Und danach musste ich ein Designalphabet erarbeiten, das auf ihren visuellen Erfahrungen beruht, um ihnen meine Vorgaben erklären zu können. Wenn sie einen traditionellen Teppich sehen, können sie ihn aus dem Kopf nachmachen. Meine Bilder hingegen waren ihnen fremd. Nach einigen Experimenten kann ich jetzt ein A4-Blatt mitbringen und die Weberinnen spiegeln es für ihre Arbeit dann im Kopf seitenverkehrt und von oben nach unten. Das Resultat ist perfekt.

Seit dem Internet haben wir das Gefühl, der Globus sei geschrumpft. Marokko liegt nur auf der anderen Seite des Mittelmeers. Trotzdem ist es eine völlig andere Welt?

Es gibt Dinge in der menschlichen Natur, die sind überall gleich, die Pubertät zum Beispiel. Und in Marokko habe ich, anders als in Ägypten, das Gefühl, ich könne die Menschen etwas verstehen. Aber es gibt immer einen Rest, den ich nie werde begreifen können. Vielleicht ist es auch das Geheimnis, das mich am Austausch interessiert.

Anzeiger Region Bern | Kulturagenda | 6. Februar 2014 |Interview: Silvano Cerutti